Dichografie Europawahlkampf - Katarina Barley in Düsseldorf 2019

Digitalis - Der neue Fotograf

Was ist eine Dichografie?

Dichografie Europawahlkampf - Katarina Barley in Düsseldorf 2019

Über die zukünftigen Bilder politischer Ereignisse, deren Wahrnehmung und die digitale Komposition politischer Geschehnisse.

Die Dichografien zum Europa-Wahlkampf zeigen die kämpfenden Politikerinnen auf ihrer jeweiligen Kundgebung in Düsseldorf und Duisburg. Der Ausgang des Wahlkampfes ist noch offen.

Die Dichografien zeigen die Akteure Katarina Barley (SPD)
und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).

Fotografiert und dichografiert 2019

Dichografie Europawahlkampf - Annegret Kramp-Karrenbauer in Duisburg 2019 Dichografie Europawahlkampf - Katarina Barley in Düsseldorf 2019

Der Begriff Dichografie (aus altgriechisch δίχα dícha, „zweifach, doppelt“) soll einerseits auf die binäre Bildspeicherung und andrerseits auf ein Parallel-Universum imitierter "Wirklichkeitsabbilder" verweisen.

Dichografie ist (auch) eine Imitation von Fotografie

In einer Dichografie wird mit verschobenen, ausgetauschten, hinzugefügten oder neu zusammengestellten fotografischen Elementen die Abbildung einer Wirklichkeit simuliert, die durch die Stilmittel der Dokumentarfotografie oder des Fotojournalismus einen hohen Grad an Authentizität imitiert.

Da Fotografie ein weites Feld ist, beziehe ich mich hier auf Fotografie als Zeitkapsel, wie sie beispielsweise in der Dokumentarfotografie oder im Fotojournalismus praktiziert wurde und wird. Um einen möglichst hohen Grad an Authentizität zu erreichen, ist wesentlich, dass die Übertragung und die Fixierung von reflektierten bzw. gestrahlten Lichtspuren der Szenerien oder Objekte auf einen Bildträger im späteren Verarbeitungsprozess nicht nachträglich verschoben werden. Wobei auch die subjektive Sicht der Autoren Teil der Authentizität der Zeitkapsel ist.

Der Unterschied einer Dichografie zu einer analog oder analog-tradierten Fotografie als Zeitkapsel entsteht in dem Moment, wenn (a) Bildteile einer gemachten Aufnahme innerhalb des Bildes verschoben werden, (b) andere Bildteile hinzugefügt werden und/oder (c) komplett künstlich generierte Bildelemente zusammengefügt werden.

Die Bildteile können selbst fotografiert, manuell verschoben, hinzugefügt und komplett neu zusammengestellt sein oder durch eine KI erzeugt werden, die ihre Bildelemente aus einer Datenbank mit Milliarden Fotografien zieht und entsprechend auf Anweisung der Autoren und abhängig vom „Erfindungsgeist“ der KI anpasst.

Das Wesentliche einer Dichografie ist, dass die einstmals „festgehaltenen“ Lichtspuren einer realen Szenerie „verschoben“ sind und damit die Eigenschaft als Zeitkapsel verliert, aber dennoch eine Fotografie perfekt imitiert und einen hohen Grad an Authentizität simuliert.

In fiktiven Bild- oder Filmproduktionen sind diese Möglichkeiten nichts Neues. Aber im journalistisch-dokumentarisch-nachrichtlichen Bereich, der für Demokratien wesentlich ist, ergibt sich eine grundlegend neue Situation. Neue Technologien der KI, der Bildbearbeitung und Möglichkeiten der Publikation, die für ALLE günstig und einfach zugänglich sind, macht die Produktion und Verbreitung von Dichografien massenhaft möglich. Das wird die Wahrnehmung von Fotografien (als Zeitkapsel) verändern.

Die von Günter Anders 1980 beschriebene Bilderflut bekommt heute eine gänzlich andere Wendung, wenn man sie sich als eine Flut von Dichografien vorstellt: „…, weil wir von Bildern vielmehr umstellt, weil wir einem Dauerregen von Bildern ausgesetzt sind. Früher hatte es Bilder in der Welt gegeben, heute gibt es ‚die Welt als Bild‘, richtiger: die Welt als Bild, als Bilderwand, die den Blick pausenlos fängt, pausenlos besetzt, die Welt pausenlos abdeckt.“ *

*Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen – Band 2, München 1980, S. 250

Warum ist es mir überhaupt wichtig, meine Fotografie von der Imitation einer Fotografie begrifflich zu unterscheiden?

Die Thematik des Wahlkampfes scheint mir geeignet zu sein, um die Veränderung der Wahrnehmung zwischen einer dokumentarischen Fotografie und dem Imitat einer Fotografie zu beschreiben. Der Unterschied meiner analogen und analog tradierten digitalen Fotografie der Wahlkampfrituale aus den Jahren von 1984 bis 2021 wird zur neuen Bildserie So habe ich es gesehen von 2021 besonders deutlich.

Die analog-tradierte fotografische Serie Wahl Kampf Ritual umfasst mehrere Ebenen. Abgebildet sind rund 35 Jahre der Wahlkämpfe aus einer subjektiven Sicht. Sie sind dennoch dokumentarisch, da sie einerseits mein zeitgenössisches Denken beinhaltet, meine Bewegung in Räume hinein zeigen, die Auswahl der reflektierten Lichtspuren auf einen bestimmten Aktionsraum von Politikern eingrenzt und auf Veränderungen innerhalb eines Zeitraumes von über drei Jahrzehnten verweisen. Die Fotografien sind mit den gebräuchlichen analogen Techniken, wie Kontrast- und Helligkeitseinstellungen, Nachbelichtung, Aufhellung und Fleckretusche bearbeitet worden.
Alle diese Fotografien enthalten „unverschobene“ Spuren reflektierten Lichtes einer Wirklichkeit, wie auch immer sie wahrgenommen und interpretiert wird. Das trifft auf die neuen Bilder der Serie So habe ich es gesehen, die ich hier Dichografien nenne, nicht zu. Hier ist alles möglich und erlaubt. Nichts muss so sein, wie es scheint.

Die Fotografien lassen sich als in dieser Zeit produziert belegen, durch Veröffentlichungen in Printmedien, als Vintage Prints oder in Ausstellungen. Hinzu kommen aus diesen Jahren weitere Belege, wie z.B. das Bildmaterial anderer Fotografen in Archiven und Zeitungen, die auf die seinerzeit existierenden Personen, Ereignisse und Konstellationen im Raum verweisen und eine nachträgliche Fälschung erheblich erschweren würde.

Alle Arbeitsschritte und Herstellungsweisen sind aufgrund der vorhandenen Negative, Prints und Rohdaten in meinem Archiv verfügbar, einsehbar und überprüfbar. Noch.

Die hier gezeigten Dichografien jedoch bedürfen keiner Bezeugung.

Erst durch die begriffliche Trennung der visuell kaum unterscheidbaren Bilder in Fotografien und Dichografien wird deutlich, dass es Bilder zweier völlig unterschiedlicher Epochen sind, die unspektakulär den Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter beinhalten.

Eine Serie von Dichografien und ein ausführlicher Essay ist in der Künstlerzeitung So habe ich es gesehen publiziert . Der Essay gibt einen kritischen Ausblick auf die mögliche zukünftige Fotografie politischer Ereignisse und beschreibt den Ausgangspunkt, die Veränderung im Laufe der Zeit und die Ursachen der weitreichenden Veränderung der Wahrnehmung von Fotografie als Dokument im weitesten Sinne.

Titelblatt der Zeitung - So habe ich es gesehen, 2022

Künstlerzeitung #3 mit 23 Bildern, einem Essay und einer Gestaltung von Bernd Arnold. Zeitungsdruck, 38x29cm, 52 Seiten, Aufl. 50 Expl., deutsch, Köln, Februar 2022. [vergriffen]

Die Zeitung ist nur noch als PDF erhältlich oder für einen ersten Eindruck als Tearsheets hier sichtbar.

Dichografie Europawahlkampf - Annegret Kramp-Karrenbauer in Duisburg 2019